Nimm dir deinen Freiraum, Schatz

Einengen macht sich nie gut in Beziehungen. Klammern ist unsexy. Das weiß man spätestens, wenn man mit so einem Klammerer zusammen war oder selbst mal geklammert hat oder in der Rubrik „Beziehung“ in irgendeiner Frauenzeitschrift gestöbert hat.

Das weiß auch Clara. Doch für sie ist das auch gar kein Problem. Wenn ihr Freund Heiko sich Freitagabends spontan mit seinen Kumpels zum Feiern trifft, reagiert sie nicht beleidigt. Dann sagt sie: „Schön, dass das mal wieder klappt“ und gibt Heiko zum Abschied einen Kuss. Und wenn ihr Heiko mitteilt, dass er und seine Freunde spontan verreisen wollen, ist das auch gar kein Thema für sie. Dann antwortet sie zustimmend: „Gut, du hast dir ja auch endlich mal eine Auszeit verdient“ und macht ihm ein Lunchpaket für den Flug. Männer müssen schließlich auch mal was unter sich machen, dem Herdentrieb folgen und so. Auch mit Heikos weiblichen Freundinnen hat Clara kein Problem. Die können saumäßig gut aussehen und die Figur einer Amazone haben. Es ist doch schön, wenn Heiko viele Kontakte pflegt. Und wenn ihm eine dieser Amazonen um zwei Uhr morgens schreibt, dass ihr Freund sie verlassen hat, ist es sehr rührend, wenn Heiko sich dann auf den Weg zu ihr macht, um sie in dieser schwierigen Phase zu unterstützen. Gegen seine Hilfsbereitschaft würde Clara nie etwas sagen.

Nach ein zwei gescheiterten Beziehungen und einem Regal voller Ratgeber ist sie einfach schlauer. Nun hat sie verstanden, dass man Männer nicht in einen Käfig sperren darf, weil sie sonst irgendwann ausbrechen. Männer brauchen ihre Freiheiten. Das sagt auch Christian Sander, dessen E-Books Clara in einsamen Nächten inhaliert hat wie Kamillendampf.

„Was du liebst, lass frei. Kommt es zurück, gehört es dir – für immer.“ Das klingt verlockend für Clara. Und weil das nicht nur in der Theorie sondern auch in der Praxis funktionieren soll, braucht man eine Strategie: Zum Beispiel sollte man nicht sofort zurückschreiben; auch mal sagen, dass man keine Zeit hat und so weiter. Ganz ganz wichtig ist dabei, nie eifersüchtig oder beleidigt zu sein sondern immer cool und lässig. Mit Strategie ist alles möglich.

Hin und wieder schaut Clara in Heikos Handy nach, nur so, um sich nochmal zu vergewissern, dass diese Freiraum-Strategie auch funktioniert. Heiko muss ihr dafür ja auch nicht mehr alles erzählen. Und wenn sie dann grade so am Handy ist, liegt es auch nahe, dass sie neben seinen Anrufen, Nachrichten und WhatsApp auch gleich noch die E-Mails, Notizen, seinen Kalender, Facebook, Instagram und Skype überprüft. Das muss Heiko dann auch gar nicht stören, er schläft ja um 4 Uhr morgens während Clara mit all seinen technischen Geräten im Badezimmer sitzt.

Dabei geht sie akribisch vor, wie eine Kriminalkommissarin. Bereit zum Transkribieren. Es gibt nur ein kleines Detail, das sie übersieht: Heiko mag zwar bisweilen das Klischee des triebgesteuerten Höhlenbewohner-Mannes bedienen, bemerkt hat er ihr taktisches Verhalten und die nächtlichen Streifzüge irgendwann trotzdem. Gut findet er das natürlich nicht. Auf der anderen Seite konnte er sich aber auch noch nie so viele Freiheiten in einer Beziehung erlauben wie in dieser. Das war es durchaus Wert, hin und wieder den Chatverlauf und die Unterhaltungen mit seinen Freundinnen zu löschen.

Und wenn er zu Scherzen aufgelegt war, installierte er sich einfach vorübergehend die Tinder-App auf dem Handy. Dann saß ihm Clara am nächsten Morgen schweigend am Frühstückstisch gegenüber und schob sich grantig ihr Müsli in den Mund. Sagen konnte sie dazu ja nichts, weil das ihre Strategie verletzen würde. Zu weit will Heiko es damit aber auch nicht treiben. Deshalb googelt er ein paar Tage später nach Hochzeitslocations und „How to propose“-Tipps. Dafür brachte Clara ihm am nächsten Morgen dann sogar manchmal das Frühstück ans Bett. Mit der richtigen Strategie läuft es halt einfach.

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2 Kommentare

  1. Lustig, das erinnert mich irgendwie an meine Exfreundin 😉 Finde diese Stereotypisierung von Männern (wie scheinbar einige Ratgeber sie beschreiben) ausserdem auch ziemlich einseitig… gut, dass das mal kritisiert wird!

  2. Dieses vorgetäuschte Verhalten bringt einen letztlich doch nicht wirklich weiter, sondern führt zu mehr Distanz. Da wird die Beziehung zu einem Schachbrett, auf dem Strategen agieren. Mit Aufrichtigkeit gewinnt man dagegen eher das Herz des Gegenübers! Schönes Portrait einer unschönen Beiehungskonstellation.
    Herzlich, Chris